Silence is golden.
Ich weiß ja nicht wie du das empfindest, aber Stille wurde im Laufe meines Berufslebens zu einem der wichtigsten Dinge überhaupt.
Es gibt nicht viele Berufe, in denen man den ganzen Tag über mit einem so hohen Geräuschpegel konfrontiert ist (Hut ab an dieser Stelle an alle Erzieherinnen und Erzieher, ich habe neulich im Rahmen einer Beratung vor Einschulung in einer KiTa hospitiert, da ist es noch extremer).
Nicht nur der Geräuschpegel an sich ist in der Schule permanent relativ hoch, es ist auch die andauernde Ansprache, also man hat nicht nur Hintergrundgeräusche sondern muss meistens auch ständig reagieren auf diese Geräusche. (Also: Lärmschutz is’ nich.) Es sind Fragen, Streitigkeiten, Anfragen, Erklärungswünsche, Disziplinierungen, Regeleinforderungen und vieles mehr. Jedes Geräusch, dass wir wahrnehmen kann potenziell irgendeine Reaktion von unserer Seite als Lehrkraft erfordern und vielleicht ist das auch der Grund, warum es mit der Zeit zunehmend anstrengend wird.
Bei mir war es schon nach kurzer Zeit im Berufsleben so, dass ich praktisch überhaupt kein Radio mehr hören konnte. Die andauernden Stimmen, die Werbung, das unkontrollierbare Gedudel - irgendwann hab ich gemerkt, dass mich das total stresst.
Auch zu Hause ist es mittlerweile so, dass ich meinen Mann (der den ganzen Tag in einem stillen Büro sitzt) oft bitten muss, die Musik über Kopfhörer anzuhören, weil ich die Geräusche nicht aushalte.
Ich liebe Musik, aber ich muss sie ganz gezielt und dosiert auswählen und anhören können.
Das ganze hat für mich, für meine Arbeit aber eine große Schattenseite und das wurde mir neulich bewusst:
Ich war zur Doppelbesetzung bei einem Kollegen eingesetzt im Unterricht. Vorab sagte der zu mir: “Wir machen Stationsarbeit, es ist also laut, nur damit du Bescheid weißt.”
Tja…Lautstärke im Klassenraum wird demnach von uns Lehrkräften, von einigen zumindest, mich eingeschlossen, als Schwierigkeit wahrgenommen. Wenn es laut ist, dann ist es anstrengend, dann haben wir vielleicht sogar die Kontrolle über die Schülerinnen und Schüler verloren, dann ist alles schwierig.
Aber ich glaube wir nehmen uns als Lehrkräften und vor allen Dingen unseren Kindern und Jugendlichen eine ganz wichtige Möglichkeit, nämlich die der Kooperation, der Interaktion und der Diskussion.
Wir wollen doch am liebsten, dass es im Klassenraum leise ist. In einigen Klassenräumen ist das sogar als Regel fest verortet: “Wir sind leise!”
Am besten lernen wir Menschen, wenn wir aktiv sind. Durch Austausch, Bewegung, durch Auseinandersetzung mit dem Thema und mit anderen. Wir lernen NICHT durch Stille. Ok, wir lernen NICHT NUR durch Stille.
Das bedeutet im Umkehrschluss in einem Klassenzimmer, in dem wirklich gelernt und gearbeitet wird, muss es von Zeit zu Zeit laut sein dürfen. Es muss die Möglichkeit des Diskurses, des Streitens und des Austauschs geben. Es muss die Möglichkeit der Emotionalität dabei geben. Nur dann können Inhalte wirklich tief sickern.
Aber wie können wir das leisten, wenn wir so sehr getriggert werden von Lautstärke?
In einer anderen Klasse, in einer Grundschule, in der ich kürzlich zur Hospitation war, ging es den ganzen Vormittag darum, leise am Platz zu arbeiten. Von der Tafel, im Buch, im blauen Heft, im gelben Heft und im Heft XY…alles still und leise. Auch die Wechsel leise und geräuschlos, kurze Sequenz zum Vergleich der Ergebnisse mit dem Nachbarn, aber im Flüsterton.
Wie soll das gelingen? Wie sollen Kinder auch Kinder sein, wenn sie nicht laut sein können?
Ich bin ganz ehrlich, bisher habe ich keine richtig gute Lösung gefunden, denn ich BIN extrem lautstärkeempfindlich.
Ich versuche Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Orten im Schulhaus arbeiten zu lassen, sodass ein Austausch möglich ist. Ich versuche gute Phasenwechsel hinzubekommen aus Stillarbeit und Nicht-Stillarbeit. Ich versuche kooperatives Arbeiten zuzulassen und das Schreiben in Hefte zu reduzieren. Ich versuche manchmal Schrei-Auszeiten anzubieten, denn manchmal haben Kinder einen starken inneren Druck in sich und der kann durch die Möglichkeit mal richtig laut zu werden auch ein Ventil finden.
(Hast du es schon einmal erlebt, dass du so viel Druck oder Emotionalität in dir gespürt hast, dass du laut werden musstest? Wie ist es dann, wenn du von anderen andauernd gesagt bekommst, du musst leise sein? Was macht das mit deinem Druck?)
Ich habe vieles schon probiert, aber es bleibt ein Fragezeichen für mich.
Schweigen ist Gold? Dass das nicht immer so ist, wissen wir.
Und ich plädiere dafür, den Kindern in der Schule ihre Stimme, ihren Austausch, ihre Streitigkeiten und Diskurse zurück zu geben. Ich plädiere dafür, dass sie von Zeit zu Zeit laut sein dürfen, weil das zum Lernen und auch zum emotionalen Lernen gehört.
Achtung: Ich sage nicht es wird jetzt nur noch geschrien und gebabbelt im Klassenraum. Wie immer macht es die Dosis. Aber die Stillarbeit zum höchsten Gut im Klassenraum zu machen, das führt nirgendwo hin.
Und ich plädiere dafür bei mir selbst zu beginnen, wenn es um den Wunsch nach Ruhe und Stille geht.
Wo kann ich anderweitig Inseln der Ruhe schaffen?
Muss ich in jeder Pause ansprechbar sein für Kolleginnen und Kollegen? Muss ich direkt nach der Schule zig Elterngespräche führen? Muss ich die eigenen Kinder sofort von der Betreuung abholen oder kann ich mir erst einmal eine halbe Stunde absolute Ruhe gönnen? Muss das Radio laufen, nur weil das eben schon immer so war? Muss ich jede Stunde Nachrichten hören? Brauche ich wirklich Hörbücher und Podcasts, die ich ständig nebenher anhöre oder nehme ich mir zum Lesen ganz bewusst Zeit? Muss ich selbst ständig reden und mich mitteilen?
Silence is golden, gilt für mich auf jeden Fall! Aber im Klassenzimmer geht’s nicht immer.