Over and out!
Der Wecker klingelt es ist hardcore früh, ich kann noch nicht aufstehen. Gestern wurde es wieder spät. Hier noch was zu tun, da noch was. Kinder wollen oder brauchen ständig noch was, hier noch Hausaufgaben kontrollieren, dort noch Wäsche für morgen raussuchen. Ich komm noch nicht mal aufs Sofa, erst viel zu spät kann ich meine Serie anschalten, um dann endlich abzuschalten. Und dann wurde es doch wieder zu lange. Die Quittung bekomme ich heute morgen. Meine Augen sind schwer, ich tippe dreimal auf “Snooze”, aber es bringt nichts.
Dienstag.
Noch vier Tage bis Wochenende. Noch dreimal früh aufstehen. Wie soll ich die Woche nur rumkriegen?
In der Küche stelle ich, quasi im Halbschlaf die Kaffeemaschine an, beginne Brote zu schmieren und stelle fest, dass es jetzt schon wieder morgens so dunkel ist. Heute regnet es auch noch. Ich hasse es, wenn der Sommer geht.
Dritte Schulwoche, wann sind Herbstferien? Ich rechne nach und entscheide, dass es noch viel zu lange dauert. Mein Kaffee ist inzwischen durch, ich nehme einen ersten bitteren Schluck und gehe los die Kinder wecken. Die sind motzig und wollen “nur noch 5 Minuten…”.
Der Morgen ist, wie immer zu kurz, ich mache mich schnell fertig, schmeiße mein Brot in die Schultasche, schiebe die Kinder aus der Tür und springe ins Auto. Jetzt aber dalli, ich bin schon wieder zu spät dran. Ich bräuchte morgens einfach eine halbe Stunde mehr.
Natürlich stehe ich im Stau. Rhein-Main-Gebiet gibt’s morgens nicht ohne Stau, ich schummele mich in die Abfahrt Richtung Frankfurt, um ein paar Minuten rauszuholen und höre dabei SWR 1. Eigentlich geht mir dieses blabla aus Werbung, Nachrichten und Musik auf den Wecker, stelle ich fest und schalte wieder aus. Bei Wiesbaden ist die rechte Spur gesperrt, noch mehr Stau, na super, ich komme zu spät. So ein Sch***.
Kurz vor knapp schaffe ich es dann doch in die Schule, das Kopieren vor der ersten Stunde habe ich mir schon abgeschminkt, das pack ich nicht mehr. Keine Ahnung, dann müssen sie halt die Aufgaben aus dem Buch abschreiben.
Im Klassenraum ist dann allerdings noch wenig Betrieb. Das darf doch nicht wahr sein, wo sind die alle?
“Frau Seeler, die S-Bahn ist ausgefallen, da sind die alle drin.”, meldet ein Schüler. “Was ALLE?”
Naja also gehe ich doch noch schnell kopieren, als ich zurück komme, haben es einige geschafft. Die erste Stunde kann ich allerdings in die Tonne treten. Etwa viermal beginne ich mit meiner Stundeneinführung. Bis zur großen Pause sind dann alle da. Ich habe gar keine Lust mehr und ärgere mich über Mark, der die Hausaufgaben mal wieder nicht hat und über Yasmin, die gleich ganz ohne Rucksack und nur mit Handtäschchen erschienen ist.
“Wallah Frau Seeler, ich hab eh nix gemacht…”
Zum 195. Mal besprechen wir die Zuordnungen, Bruch, Prozentzahl, Dezimalzahl, Bruchbild. Kauen durch, was ich schon seit Jahren durchkaue, mit jedem Jahrgang. Ich hab das Gefühl dieses Jahr kapieren sie es besonders schlecht. Obwohl, hab ich das nicht auch schon letztes Jahr gedacht?
In der zweiten Pause habe ich Aufsicht, aufs Klo habe ich es nicht mehr geschafft. Es gibt es eine Klopperei zwischen Flori und Luca, irgendwer hat irgendwie die Mutter von irgendjemandem über Insta beleidigt, es lässt sich nicht mehr so ganz aufklären und die Kollegin aus der Parallelklasse macht gerade auch noch ein riesen Fass auf, weil ihr Klassenfußball verschossen wurde von einem meiner Schüler natürlich. Das muss sofort geklärt werden und zwar beides.
In der nächsten Stunde hätte ich eigentlich eine Doppelbesetzung gehabt, wir hatten vor die Klasse zu teilen, um Arbeitslehre zu machen. Kochen mit der einen Hälfte, Werken mit der anderen Hälfte. Ich hab fürs Kochen auch schon eingekauft. Spontan muss die Kollegin jetzt aber in die Vertretung. Was jetzt? Die Lebensmittel mit nach Hause nehmen und das ganze auf nächste Woche verschieben? Oder mit der ganzen Mannschaft kochen? So oder so, ich werde meine Entscheidung bereuen. Entweder die Motivation sinkt in den Keller und keiner ist bereit mitzuarbeiten, wenn jetzt anstatt praktischem Unterricht noch zwei Stunden Theorie anstehen oder es gibt Chaos in der Küche und ich werde zwei Stunden im Feldmarschall-Ton Anweisungen brüllen, dass die Messer nicht zum Spielen da sind und der Müll richtig getrennt werden muss. Ich entscheide mich fürs Küchen-Chaos. Falsche Entscheidung, war ja klar. Am Ende stürmen alle raus und ich mache noch 45 Minuten die Küche sauber, damit es da keinen Ärger mit der Hauswirtschafts-Kollegin gibt.
Wenigstens ist der Tag jetzt vorbei. Auf dem Weg nach Hause rufe ich über die Freisprech-Einrichtung die Eltern von Flori und Luca an. Ich erzähle von der Klopperei und das sie bitte noch einmal mit ihren Söhnen sprechen müssen, denn Gewalt ist ja bekanntlich keine Lösung.
Die Mutter von Flori sieht das allerdings anders, ihr Sohn dürfe sich ja wohl verteidigen, wenn er beleidigt würde. Der Vater von Luca meint, die Lehrer würden eben nicht hart genug durch greifen und hätten gar nichts im Griff. Typisch Pädagogen eben.
Dazu fällt mir im Moment kein Gegenargument ein und ich verabschiede mich.
Zu Hause geht es mit der Kontrolle der Hausaufgaben der Kinder weiter. Die eine ist schon fertig, die andere braucht Hilfe bei Mathe. Also gut, weiter geht’s.
Nachdem wir das geklärt haben und alle fertig sind, setze ich mich in den Garten und trinke Kaffee. Heute Abend wollte ich in Sport gehen, das lasse ich wohl besser ausfallen. Ich muss nämlich noch einkaufen und eine Maschine Wäsche auf- und abhängen. Ich hab einfach keine Lust auf Sport heute.
Aber die Rettung naht, während ich einkaufen bin, schreibt mir meine Freundin, ob wir ein Glas Wein trinken gehen heute Abend. Oh ja, da sag ich zu.
Am Abend trinken wir unseren Wein und quatschen, ja eigentlich wollte ich früher ins Bett, aber egal, Morgen dann vielleicht. Ich kotze mich bei ihr über meinen stressigen Schultag aus.
“Naja, bald sind wieder Ferien!”, antwortet sie.
Kommt dir das bekannt vor?
Heute habe ich einen interessanten Post von Herr Schröder gelesen: Ich glaube es ist schön für Schüler, wenn sie einen Lehrer haben, der glücklich mit seinem Beruf und seinem Leben ist! (Zusammengefasst).
Wow, denke ich!
Das glaube ich auch. Aber auf wie viele von uns trifft das tatsächlich zu?
Wie viele von uns erleben jeden Tag, so wie diesen, den ich gerade beschrieben habe?
Wie viele Menschen, wie viele Lehrer und Lehrerinnen sind Lichtjahre entfernt von glücklich?
Eine Sache habe ich gelernt: Glücklichsein im Beruf und auch im Leben ist kein Zufallsprodukt und auch kein Schicksal. Es ist eine Aufgabe. Es ist Arbeit. Jeden Tag.
Tage wie diese da oben habe ich früher ohne Ende erlebt und ich will nicht sagen, dass ich jetzt den Code geknackt habe und es jetzt heraus habe mit dem Glücklichsein. Aber ich habe so einige Stellschrauben gedreht in den letzten Jahren und Monaten.
Es war ein Prozess und ist es immer noch. Und es war und ist Arbeit und Disziplin.
Aber heute kann ich eines sagen: Ich fühle mich nur selten unglücklich. In meinem Beruf und in meinem Leben.
Welche Stellschrauben ich gedreht habe? Erzähle ich beim nächsten Mal.
Für heute bin ich: Over and out!