Kommando Kugelfisch…
…oder strukturelle Diskriminierung?
Die Grundschulkolleginnen und Kollegen unter euch kennen vielleicht “Kommando Kugelfisch”. Ich selbst hab es erst vor einigen Wochen kennen gelernt, als ich in einer Grundschulklasse hospitiert habe.
Es zeigt den Kids spielerisch an: Mund zu und zuhören, jetzt wird etwas Wichtiges gesagt.
Ehrlich gesagt, ich bin schon damals irgendwie drüber gestolpert, ich habe mein Referendariat noch mit dem “Leisefuchs” durchlebt.
Vielleicht störe ich mich an unwichtigen Details, aber da wo der Leisefuchs für mich noch etwas war, was mit Ruhe zu tun an, mit andächtigem Lauschen, mit Schlauheit und Sensibilität, sehe ich im “Kommando Kugelfisch” eher so einen militärischen Appell im Sinne von: Auch wenn die Backen jetzt dick sind, Maul halten ist angesagt. Da steckt für mich irgendwie eher eine aggressive als eine lauschende Stille dahinter. Eher ein “wir halten kollektiv die Klappe” als ein wir sind kurz leise und überlegen gut.
Kann man jetzt vielleicht drüber streiten, aber so empfinde ich halt.
Worüber man allerdings nicht streiten kann, ist meiner Meinung nach eine gesamte Haltung, ein gesamter Wertecodex, der hinter Kommando Kugelfisch zu stecken scheint, nämlich tatsächlich der: Wir halten hier die Klappe, ob es mit rechten Dingen zugeht oder nicht.
Strukturelle Diskriminierung einer Schule gegenüber Schülerinnen und Schülern und Eltern habe ich bisher in all den Jahren noch nicht erlebt.
Weder als Schülerin in meiner Zeit, noch bei meinen eigenen Kindern, noch als Lehrerin in über 15 Jahren Berufsleben.
Das hat sich in diesem Schuljahr geändert. Wovon ich rede?
Da wird einem Kind in der Grundschule systematisch die Entlastung, die ihm rechtlich zusteht, verweigert. Es wird also bewusst (denn es wurde wiederholt darauf hingewiesen), Nachteilsausgleich verwehrt, das Kind wird aus AGs ausgeschlossen, die Versetzung wird durchgedrückt, obwohl es ein Anrecht auf Wiederholung hätte.
Das Kind und seine Mutter werden systematisch angegangen, in Konfliktsituationen in denen dieses Kind und ein anderes Kind verwickelt sind, wird die eine Partei zu “Wiedergutmachung” aufgefordert, die andere aber nicht.
Es werden Helfersysteme hinzugezogen, wie Schulpsychologie, die im Gespräch nicht das Kind und die Mutter unterstützen sondern instrumentalisiert werden, das Kind als nicht mehr tragbar darzustellen.
Ich bin fassungslos. Ich kenne das Kind und seine Mutter inzwischen eine Weile, unterrichte das Kind seit einigen Wochen und die Mutter sagte neulich: “Ich habe so an mir selbst gezweifelt und gedacht ich habe alles falsch gemacht, weil alle immer gesagt haben mein Kind sei so schlimm in der Schule. Aber ich habe es nie so erlebt, also dachte ich es muss an mir liegen.”
Das hat mir so unendlich leid getan, weil ich dieses Misstrauen gegenüber allen Lehrerinnen und Lehrern und die Verzweiflung förmlich mit Händen greifen konnte.
Wechsel der Schule ist das einzige, was wir nun anpeilen können, denn gegen diese strukturelle Diskriminierung sind wir ein Stück weit machtlos.
ABER: Kommando Kugelfisch wird es hier nicht geben! Wir arbeiten an der Aufklärung dieser Situation, an der Rückmeldung über dieses Verfahren an höher geordnete Stellen und vor allem an der Entlastung des Kindes.
Durch diesen Fall wurde mir eines aber wieder ganz deutlich bewusst: Wir Lehrkräfte sind eine immens wichtige Schnittstelle zwischen Kind, Eltern, Leitung, Helfersystemen, Verordnungen und vielem mehr. Wir müssen den Mund aufmachen, wenn Ungerechtigkeit passiert, einstehen für Gleichberechtigung, für Entlastungen, die Kindern zustehen und gegen strukturelle Diskriminierung aufstehen.
Wir sind nicht machtlos, es gibt immer Stellschrauben, die wir drehen können. Wir haben immer einen Spielraum, manchmal ist er kleiner, manchmal größer aber er ist immer da.
Deshalb plädiere ich für den Leisefuchs: Aufmerksam zuhören, beobachten, lauschen und dann mit Verstand und glasklar agieren.
Kommando Kugelfisch gehört abgeschafft, denn was richten wir damit an?